Auf der "Gorch Fock"

Ein Tag auf dem Segelschulschiff "Gorch Fock"

Hoool weg: Das Besanstagsegel
wird gesetzt.
Furiose Befehlsbrüllerei zwischen
(Zier-)Kompaß und Ruderstand.
Aufentern in den Großmast.

"GORCH FOCK" wieder daheimt)

Kiel (März 1997). Die "Gorch Fock", das Segelschulschiff der Bundesmarine, ist von ihrer bisher längsten Reise zurückgekehrt: Fast ein Jahr war der Großsegler unter Kapitän Thomas-Georg Hering unterwegs, hat dabei über 38 000 Seemeilen (70 000 Kilometer) zurückgelegt und 18 Häfen in 16 Ländern auf vier Kontinenten besucht.

Wenn die "Gorch Fock" heute um 11 Uhr an der Tirpitzmole in ihrem Heimathafen Kiel festmacht, wird auch Jörn Kirschner aus Duisburg am riesigen Ruder stehen. Und vom Besantopp weht erstmals der etwa 80 Meter lange Heimatwimpel: Den dürfen nur diejenigen Kriegsschiffe fahren, die entweder eine Weltumrundung hinter sich haben oder sich mindestens sechs Monate in fremden Gewässern aufgehalten hat.

"Hooool weg, hooool weg, hooool weg." An Deck wird im Team lautstark an dicken Fallen gezogen, oben am Großmast fährt knirschend die Rah mit dem Großobermarssegel in die Höhe. Am Dienstag hieß es wahrscheinlich zum letzten Mal auf dieser Reise für einen kurzen Schlag von der Eckernförder Bucht zum Ankerplatz Strander Bucht "Klar zum Manöver". Nur wenn der Wind günstig steht, wird die "Gofo", wie sie von den Sailors liebevoll genannt wird, unter vollen Segeln einlaufen. Doch die Vorhersage sieht nicht gut aus: Eine Warmfront ist im Anmarsch, und mit ihr südwestliche Winde - das ist beim Einlaufen in die Kieler Förde genau gegenan.

"Hooool weg." Ziehen an den Tampen auf der Gorch Fock.

An der Pier werden trotzdem mehrere tausend Angehörige, Freunde und Schaulustige erwartet. Auch die Familie von Sanitäter Jörn Kirschner, der dann als Manöver-Rudergänger das Schiff auf Kurs hält, wird an der Mole stehen. Ob auch seine Freundin dabeisein wird, die er so lange nicht mehr gesehen hat, weiß er nicht. Achselzucken. "Mal sehen."

Kirschner hat als einer von 78 Soldaten und zwei Zivilisten die Fahrt von Anfang an mitgemacht. "Das ist schon ein tolles Erlebnis", sagt der begeisterte Hobby-Segler und Taucher, als der Kieler Leuchtturm langsam aus dem Dunst auftaucht. Und er freut sich auf Zuhause. Denn die Fahrt hat die Crew nicht selten bis an die Grenzen des Möglichen gefordert. Er wird viel zu erzählen haben.

Die rund 200köpfige Crew der "Gorch Fock" setzte am 26. März vergangenen Jahres die Segel und steckte den Kurs ab auf Ziele wie Lissabon, Palermo, Haifa, Djibouti, Singapur, Manila, Kapstadt, Recife und Azoren. Mehr als 65 Prozent der Strecke wurde unter Segeln und damit preiswert zurückgelegt. Die "Gorch Fock" kostet im Unterhalt somit nicht mehr als ein Minensucher. Die Lehrgangsteilnehmer, darunter auch Frauen, wechselten viermal. In den Häfen agierte man als "Botschafter in Blau", organisierte Empfänge und Essen, warb für Deutschland. Es waren die Botschaften, die das prestigeträchtige Schulschiff beim Auswärtigen Amt "bestellt" hatten. Nach diesen Anforderungen wird meist auch die Fahrtroute geplant. Der Kapitän hat nur ein Vorschlagsrecht.
In allen Häfen wurden die Sailors aus good old Germany begeistert aufgenommen. Und sie machten nicht nur durch "korrektes Verhalten" von sich reden - sie spendeten beispielsweise in Recife/Brasilien 2000 Mark für ein Waisenhaus. Die Summe war bei der Weihnachtsfeier zusammengekommen. Schon in Thailand hatten einige Soldaten spontan Patenschaften für Waisenkinder übernommen.

Der Mastgarten der Gorch Fock.
Der Mastgarten der Gorch Fock.


Höhepunkt der Empfänge war Singapur: Dort fand an der Pier vorm Schiff ein rauschendes Fest mit 2000 Gästen statt. An Bord gab es während der Reise insgesamt 31 Empfänge und 18 "Spitzenessen" für die ganz wichtigen Leute, die VIP's.

Auf See war man dann wieder unter sich - und allein mit den Naturgewalten. Im Roten Meer sorgte ein Sandsturm bei tropischen Temperaturen für Sichtbehinderung. Die härtesten Winde mit Stärken von neun bis zehn mußte die Besatzung im Indischen Ozean abwettern. "Wellen mit sieben bis acht Metern Höhe", erinnert sich Käptn Hering an diesen ausgewachsenen Wirbelsturm. Doch Schiff und Crew haben alles bestens überstanden. Das fast 40 Jahre alte Schulschiff ist in gutem Zustand. Es ist, so Käptn Hering, auch ziemlich untertakelt. Seit der Katastrophe mit der "Pamir" 1956, bei der es kaum Überlebende gab, setzt man bei der Marine auf Nummer sicher. So gab es auf dieser Fahrt, die Mensch und Material nicht selten das Äußerste abverlangte, so gut wie keinen "Bruch". Nur einige Focksegel wurden vom Sturm zerfetzt, flogen aus den Lieken.

Steffen Sander ist der Navigator auf den letzten Seemeilen. Während er mit dem Bleistift säuberlich den Kurs Richtung Kieler Förde in die Seekarte einzeichnet, gerät er ins Schwärmen. Von deutschem Essen, deutschen Städten, den schönen Wäldern. Ein Spaziergang im Wald. Ja, das werde er wohl als erstes unternehmen, wenn er die 81 Meter lang Bark verlassen hat. Dann schaut er wieder auf den kleinen Lichtpunkt auf der Deutschen Seekarte "Kieler Bucht", der genau die Position der "Gofo" anzeigt. Der Seekartenplotter wird einmal "geeicht", indem mehrere Punkte mit Länge und Breite eingegeben werden - das übermittelt dem Rechner den Maßstab. Dann übernimmt das GPS die weitere Positionsbestimmung.

Der Kapitän am Kartenplotter.
Der Kapitän am Kartenplotter.


Nur das GPS? "Nee, nee", wehrt "Navi" Sander ab. Landpeilungen sind mindestens ebenso wichtig. Auch die beiden Radargeräte, auf denen ebenfalls gepeilt wird. Kiel Leuchtturm hat einen Racon, der kleine Punkte auf dem Schirm erzeugt. Auf hoher See wird der Sextant ausgepackt. Erstaunlich, wie genau die Messungen sind. "Mal exakt, mal fünf Seemeilen daneben", sagt Sander. Und wieder überträgt er eine Peilung in die Karte. Diesmal vom Radar. Wieder Kiel Leuchtturm. Endlich. Heimatgefilde. Sander strahlt.

Draußen sind 70 Journalisten über die wehrlose Crew hergefallen. Auch Hering muß viele Interviewünsche über sich ergehen lassen. Er scheint Spaß dran zu haben. Aus der ganzen Republik wurden die Presseleute, aus Bonn sogar per Bundeswehrflieger, eingeladen. "Ich versteh' nur Bahnhof", jammert eine Kollegin schon beim ersten Manöver (dem noch viele andere an diesem Tag folgen sollten). Den anderen Nicht-Seeleuten geht's ähnlich. Buchstabe für Buchstabe lassen sie sich in den Stenoblock diktieren: T o p p s g a s t, G r o ß o b e r m a r s. "Was macht der da jetzt oben?" "Wie war das Kommando?" Die blauen Jungs kennen das schon. Doch heute ist's extrem. Aber sie bleiben trotz der immer gleichen Fragen freundlich. Sie wissen: Auch das gehört dazu. Werbung ist alles. Und am Mittwoch geht's doch nach Hause.

Fotografen fluchen, weil im Hintergrund immer mindestens ein Kollege äußerst unseemännisch gekleidet herumturnt. "Sie müssen auf sich selbst aufpassen, sonst werden sie bei den Manövern umgerannt", hatte uns Fregattenkapitän Wolfgang Jungmann eindringlich gewarnt. Und von teuren Kameras erzählt, die "im Mittelmeer auf Grund gegangen sind".

Glücklich und froh sind alle Sailors, dass sie heil wieder daheim sind. Wenn auch bei vielen Wehmut mitschwingt. "Es ist schade, daß die Crew nun auseinanderfällt", sagt der sympathische Käptn, der immer "meine Jungs" sagt, wenn er von der Crew spricht. Er sei ein vorsichtiger und umsichtiger Kapitän, sagen "seine Jungs" über ihn. Mit dem in einen Sturm geraten? Da hätte niemand Angst. Hering ließ frühzeitig Tuch wegnehmen, wenn's anfing zu kacheln. Und zum Ende der Fahrt, da ist man sich sicher, wollte er wohl nichts mehr riskieren und wurde angeblich noch vorsichtiger.

Kapitän Hering und "seine" Jungs.
Kapitän Hering und "seine" Jungs.


Nicht alle gehen frohgelaunt von Bord. Viel ist manchmal in der Familie in diesem Jahr geschehen. Decksmeister Mario Maehs erzählt von seinen ersten Gängen, die er an Land vorhat. Dazu zählt der Besuch des Grabes seiner Mutter. Die Nachricht vom Tode seiner Mutter erreichte ihn zwei Tage nach seinem Geburtstag, als die GoFo gerade in Palermo lag. Sein Großvater starb, da war er gerade zwei Tage auf See. Er wurde auf See bestattet.

Nach dem tollsten Erlebnis befragt, kommt spontan die Antwort: "Der Karneval in Recife." Der muss so aufregend gewesen sein, daß gleich sechs Seeleute ihre Herzen verloren. Nach dem Törn geht es sofort per Flieger wieder zurück, um die Fundstücke wieder einzusammeln. Doch der Karneval ist längst vorbei.

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